Liebe Lesegemeinde <3,
frohe und gesegnete Weihnachten wünsche ich euch! Hier war in den letzten Wochen mächtig was los, wie das immer so ist vor dem großen Fest. Aber ich will euch nicht gänzlich unbedacht lassen und wenigstens kurz grüßen. Habt es gut, wo auch immer ihr gerade seid. Genießt die freien Tage, hoffentlich auch mit etwas Ruhe und Zeit für euch und eure Lieben.
Folgende Predigt hielt ich am Heiligabend im Gottesdienst, der um 18 Uhr begann. Um 17.52 Uhr eilte ich mit Herzrasen ins Gemeindehaus, um die Predigt für die Christvesper auszudrucken (statt die Krippenspielpredigt aus dem Gottesdienst davor ein zweites Mal zu halten – von wegen super vorbereiteter Ordner mit allen Gottesdienstabläufen komplett in richtiger Reihenfolge, waaaah!). Im Büro ließ sich der Drucker erst nicht finden, behauptete dann, das falsche Papier zu haben und erlitt in Folge einen Papierstau, den ich erst im zweiten oder dritten Anlauf beheben konnte. Zeitgleich läuteten die Glocken, leise drang Orgelmusik an mein Ohr und ich flehte den erbost blau blinkenden Drucker an, bittebittebitte diese verdammte Predigt endlich rauszurücken. Ok, ich habe auch ein wenig rumgeschrien. Mir wurde sehr heiß. Irgendwann fand ich in den Tiefen des Druckausgabefaches ein leicht geknülltes Blatt, riss es heraus und konnte endlich drucken. Die letzten beiden Seiten der Predigt hat er allerdings eigentümlich auf zwei ungleiche Blatthälften verteilt (also noch Origami, erwähnte ich schon, dass ich Basteln hasse?). Schließlich rannte ich mit wehendem Talar zum Seiteneingang der Kirche und setzte mich zu unserem Diakon, der schon bei der Psalmlesung angekommen war.
Hinterher meinte der Organist zu mir: Sara, wo warst du denn? Ich dachte schon, du hättest den Gottesdienst vergessen! Andere dachten, mein spätes Erscheinen zum Gottesdienst war geplant. Des Effektes wegen. Ach DAS ist die neue Pfarrerin! Naja, also, Spotlight an:
Vor ungefähr zwei Wochen stellte ich fest, dass wir für unsere Krippenspiele einen Stall brauchen. Wir überlegten, telefonierten und baten jemand handwerklich Begabtes aus der Gemeinde um Hilfe. Folgendes Gespräch entspann sich:
Wie soll der Stall denn aussehen? – So ganz schlicht. Links und rechts eine Wand, oben ein Dach. Kann gerne etwas kaputt aussehen.
Und wie viele Menschen sollen da rein passen? – Du kennst doch die Geschichte, oder?! Maria, Josef und das Kind mit Krippe, vielleicht noch ein paar Tiere, Ochs und Esel oder so.
Nur wenige Tage später stand er hier vorne im Altarraum. Ganz schlicht. Links und rechts eine schmale Wand, oben ein Dach – fertig war der Stall, mit noch glänzender Farbe und einem praktischen Steckmechanismus für einen schnellen Auf – und Abbau. Das erste Haus für Jesus, den Heiland aus der Stadt Davids. Sein erstes Zuhause.
Wenn Kinder beginnen, Häuser zu malen, beschränken sie sich meistens auf das Wesentliche.
Oft werden erst die Außenwände gemalt und dann das Dach obendrauf. Eingangstür und Fenster folgen. Ich habe früher immer noch einen Schornstein mit Rauch auf das Dach gesetzt, aber das ist vielleicht nicht mehr ganz aktuell.
Auf dem Papier ist so ein Haus schnell gebaut und hübsch angemalt. Wenn aus dem einfachen Haus ein Zuhause werden soll, reichen die Wände und das Dach und die Fenster aber nicht aus. Dafür werden dann die Eltern davor gemalt und die Geschwisterkinder, vielleicht auch der Hund oder die Katze. Für ein richtiges Zuhause braucht man mehr als ein einfaches Dach über dem Kopf. Ein Zuhause braucht Menschen, die man liebt und die einen lieben.
Gerade an Weihnachten kommen die Menschen nach Hause, in Wohnungen und Doppelhaushälften, in Städten und auf dem Land. Driving home for christmas. Manch überraschende Begegnung ereignet sich auf dem Heimweg. Einmal traf ich auf dem Weg ins Havelland eine Kindergartenfreundin im Bus, fast hätte ich sie nicht erkannt. Wir teilten uns die Neuigkeiten der letzten Jahre und ihre selbst gebackenen Plätzchen. Besonders war das, und rührend. An Weihnachten nach Hause zu fahren, das kann richtig schön sein.
An Weihnachten zu Hause zu sein kann richtig schön sein. Und manchmal ist es auch eine echte Herausforderung. Denn zuhause sein heißt auch, sich gegenseitig zuhause sein lassen. Auch Onkel Herbert mit seinen spätnächtlichen, fragwürdigen Diskussionen zur Lage der Welt. Auch die Schwester, die schon früher immer alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Auch die Eltern, die vielleicht schon etwas vergesslich geworden sind. Und die Cousine, die um ihren vor kurzem verstorbenen Mann trauert. Und auch sich selbst, mit den Erinnerungen und Bildern von all dem, was zuhause für einen bedeutet.
Zuhause ist mehr als ein paar Wände und ein Dach, für die Meisten. Vor manchen Eingangstüren liegen Matten mit der Aufschrift – Zuhause ist, wo dein Herz ist oder hübsch auf Englisch: Home is, where your heart is. Wer durch die Tür eintritt, kommt in einen geschützten Raum. Wo das Herz ist, ist auch Sicherheit und Geborgenheit. Ein Ort, an dem alles gut und friedlich ist. Ein Ort ohne Unruhe und Hektik, ohne Streit und Ärger. Ein Ort zum Luftholen und Auftanken.
Das Kind Jesus wurde in einem kargen Stall geboren in der Stadt Bethlehem, in der Stadt Davids. Die Menschen erzählten sich zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahrhunderten die wunderbarsten Geschichten über den großen König David, der als Kind in Bethlehem zuhause war, als jüngstes Geschwisterkind, das die Schafe hütete. Niemand war tapferer, niemand klüger, musikalischer, einsichtiger und bedeutsamer als dieser Mann. Sehnsuchtsvoll erinnerte man sich an die Tage seiner Herrschaft und die seines direkten Nachfolgers und Sohnes Salomo, in denen Israel groß und mächtig war – ein sicheres Land. Als niemand Angst haben brauchte vor Krieg und Vertreibung. Als die Vorkehrungen zum Bau des herrlichen Tempels getroffen wurden, der später von Salomo errichtet wurde. Mit 15 Meter hohen Wänden aus starken Steinen und mit mit Dachbalken aus Zedernholz, einer Vorhalle und im inneren dem Allerheiligsten. Der Tempel in dem Gott zuhause war. Das Haus Gottes. Die Menschen erinnerten sich an diese glanzvolle Zeit, besonders wenn sie es gerade schwer hatten. Wenn Krieg das Land beherrschte und Gewalt und Vertreibung seine Bewohner in Angst und Schrecken versetzte. Wenn die Menschen ihr zuhause verloren hatten und im Exil verzweifelt nach Hoffnung suchten. Ein Prophet namens Ezechiel, selbst unfreiwillig fern von der Heimat, traumatisiert von Kriegserfahrungen, fand strahlende Worte für seine Sehnsucht:
24 Und mein Knecht David soll ihr König sein und der einzige Hirte für sie alle. Und sie sollen wandeln in meinen Rechten und meine Gebote halten und danach tun.
25 Und sie sollen wieder in dem Lande wohnen, das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe, in dem eure Väter gewohnt haben. Sie und ihre Kinder und Kindeskinder sollen darin wohnen für immer, und mein Knecht David soll für immer ihr Fürst sein. 26 Und ich will mit ihnen einen Bund des Friedens schließen, der soll ein ewiger Bund mit ihnen sein. Und ich will sie erhalten und mehren, und mein Heiligtum soll unter ihnen sein für immer. 27 Meine Wohnung soll unter ihnen sein, und ich will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein, 28 damit auch die Völker erfahren, dass ich der HERR bin, der Israel heilig macht, wenn mein Heiligtum für immer unter ihnen sein wird.
Zwischen diesen Zeilen klingt, meine ich, das Heimweh der Menschen an. Der tiefe Wunsch auf Rückkehr in die Gegend, in der jeder Baum und jedes Haus einem vertraut ist. Wo man die Gerüche und Klänge kennt und man sich auskennt. Wo man weiß, wer man ist und warum. Ein sicherer, geschützter Ort. Alle Menschen brauchen ein Zuhause. Alle Menschen haben ein Zuhause verdient, zusammen mit ihren Lieben. Niemand sollte, egal ob durch Krieg oder Gewalt oder Katastrophen, seine Heimat verlassen müssen. In unserem Wunsch nach einem Zuhause, nach Frieden und Sicherheit gleichen wir uns. Über Jahrhunderte, Kontinente und Ländergrenzen hinweg.
Ich höre in Ezechiels Worten aber noch etwas darüber hinaus. Als Prophet spricht er nicht für sich selbst, sondern er verkündet die Botschaft Gottes unter den Menschen. Auch Gott hat Sehnsucht. Sehnsucht nach den Menschen, bei denen er sein will, denen er nahe sein will. Gott will bei den Menschen zuhause sein. Bei ihnen ankommen, sie nicht mehr verlassen.
In jener Nacht, in dem schlichten Stall in Bethlehem hat Gott Wohnung bei den Menschen genommen. Eine Wand links, eine Wand rechts, obendrauf ein Dach – zugig war es hier und ungeschützt. Statt eines mächtigen Tempels hat er einen Ort gewählt, der gar kein Zuhause ist, sondern eine Notunterkunft, ein tempo-home. So kommt Gott zu den Menschen – schutzlos und bedürftig, auf die Liebe der Eltern und den guten Willen der Menschen um ihn herum angewiesen, auf der Flucht. Gott zeigt sich grenzenlos mutig.
Der Ort Bethlehem schafft die Verbindung zu König David, der so groß und mächtig und herrlich geherrscht hat. Das Kind in der Krippe steht in dessen Nachfolge. Doch Jesu Königtum ist anderer Natur. Sein Ziel ist nicht Macht oder Ausdehnung oder die eigene Sicherheit – sein Ziel ist Begegnung mit den Menschen, sie mit hinein zu nehmen in Gottes heilvolle Nähe. Gottes Reich auf Erden begann so Gestalt anzunehmen, ohne Paläste und große Tempel, aber in den Herzen der Menschen. Das tut es bis heute.
Überall dort, wo Liebe regiert und Menschen heil werden. Dort, wo auf Gewalt verzichtet und Gerechtigkeit gelebt wird. Überall da, wo Menschen von Frieden träumen und von einer besseren Welt. Überall da, wo Hoffnung stärker ist als Resignation und Menschen Vertrauen wagen und helfen und handeln. Gott hat sich in diese Welt hineingewagt, um sie zu einem Zuhause für sich und alle Menschen zu machen.
Wir feiern Weihnachten. Das Kind wurde geboren. Der Anfang liegt in einem Stall. Was daraus folgen kann, liegt in unseren Herzen und Händen. Heißen wir das Kind willkommen in unserem Leben? Öffnen wir ihm die Tür? Auch das ist ein Wagnis. Jemanden ins Herz zu schließen ist immer auch mit Mut verbunden. Wer es wagt, darf staunen und sieht die Welt mit neuen Augen, so wie es dir Hirten in jener Nacht erfahren und Maria und Josef im Stall erzählt haben:
Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.
Amen.