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  • Kinder, Kinder…

    Einmal im Monat halte ich an einem Mittwochmorgen Andacht in der Kita. Meistens ist das ein großes Vergnügen. Wir singen Lieder und tanzen, ich erzähle eine Geschichte, die Kinder helfen dabei mit und am Ende wird noch gespielt. Wenn ich Glück hab, bekomme ich noch ein bisschen Obst oder Gemüse ab und manchmal wird mir ein Kaffee gebracht.

    Richtig gewohnte Routine hat sich bei mir bisher nicht eingestellt. Jeden Dienstag vor einer solchen Kitaandacht frage ich mich bange: Was mache ich mit den Kleinen? Was könnte funktionieren? Am Besten klappt es wenn ich mich vorher mit Rahel bespreche, die auf wundersame Weise immer weiß was mit Kindern gut läuft. Letzte Woche war zeitlich allerdings so dicht, dass ich von Rahels Expertise nicht profitieren konnte.

    Die Andacht beginnt um halb zehn, um halb neun desselben Tages war ich mir immer noch nicht sicher, welches Thema ich machen wollte. Etwas mit Passion? Oder doch Elia, zu dem ich immerhin schon eine Erzählkiste mit Legematerial fertig hatte? Oder eine Heilungsgeschichte? Schließlich ließ ich mich musikalisch leiten und nahm die Jonageschichte, zu der ich schon vor Jahren ein wirklich witziges Lied von einem Kollegen zugesteckt bekommen hatte (Ausgerechnet Ninive, wer will da schon hin?) . Vor meinem inneren Auge sah ich die Kinder und mich fröhlich singen und andächtig der Geschichte lauschen.

    Es ist immer gut, ein bisschen Anschauungsmaterial mitzunehmen. Ich fand zuhause einen Kompass und ein Fernglas. Den Wal druckte ich als Bild aus. Und das Boot? In 10 Minuten müsste ich loslaufen, um pünktlich in der Kita anzukommen. Ich entschied mich für so ein gefaltetes Papierschiff. Aber wie ging das nochmal? Trotz Hektik und meiner ausgeprägten Bastel-Abneigung gelang es mir mit Hilfe der Suchmaschine ein etwas schiefes Exemplar zu falten. Als Boot würde das schon durchgehen.

    In der Kita wartete man schon auf mich, als ich etwas außer Atem dort ankam. Die Kinder freuten sich und ich versuchte mich, an die Namen zu erinnern. Ein paar waren beim Kinderfasching in der Gemeinde gewesen, das wusste ich noch. Links von mir mit den blonden Locken, das war Johannes. Da vorne in der Mitte mit den halblangen braunen Haaren und dem frechen Blick, das war Lara. Und die anderen sieben? Keinen Plan… Dieses Mal war ein Erzieher in Ausbildung als Verstärkung dabei. Anscheinend hatte er keine Lust auf Andacht oder war einfach schlecht drauf, jedenfalls machte er die schönen Bewegungen zu den Liedern im Sitzkreis nicht mit (Soooo groß, was kann größer sein? Sooo weit, was kann weiter sein? Soooo tief…Mit ausladenden Armbewegungen). Er wurde auch nicht aktiv, als ein Junge aus der Gruppe hinter mir die Streichhölzer nahm und sie anzündete.

    Schon während ich die Jonageschichte erzählte baten die Kinder darum, wieder das Spiel mit den Schafen spielen zu dürfen. Das macht auch wirklich Spaß: Ein:e aus der Gruppe macht „mäh“ und eine:r mimt Schafhüter:in und muss das Kind am „mäh“ namentlich erraten. Während ich die Kinder auf später vertröstete und weiter die Geschichte erzählte, ließ ich Kompass und Fernglas rumgehen, was dazu führte, dass alle Kinder gleichzeitig das Fernglas wollten. Keines wollte den Kompass, dabei ist der eigentlich viel schöner (dachte ich jedenfalls). Unvorsichtiger Weise kündigte ich an, dass wir im Anschluss vielleicht auch noch gemeinsam Papierboote würden basteln können. Das Mädchen neben mir (auch etwas mit L. aber nicht Lara) schmiegte sich an mich und meinte, dass sie so gerne auch mal das Fernglas haben würde. Was nur war an diesem Fernglas so toll? Das hatte ich völlig falsch eingeschätzt.

    Ich forderte zum Teilen auf. Klappte so semi. Der Erzieher starrte ins Leere. Ich ging über zum Ninive-Song, aber keine:r achtete so richtig darauf, das Fernglas war einfach spannender. Ein Mädchen wünschte sich das andere Lied, das wir immer am Schluss singen. Mir tat es schon etwas leid um den tollen Ninive-Song und auch um Jona. Der Erzieher ging nun mit dem eben noch kuschelnden und jetzt scheinbar weinenden Mädchen vor die Tür. Sah er mich tatsächlich vorwurfsvoll an? Warum?? Gleichzeitig schnappte sich ein Junge das Papierboot und begann in Kreisen um die Gruppe herum zu laufen. Irgendwann wurde das Mädchen wieder reingebracht, der Junge rausgeholt (vorher gab er mir äußerst widerwillig das Boot zurück) und die Geschichte war zu Ende.

    Beim Schafspiel hatten sie wieder Freude und ich staunte, wie gut sie einander erkannten. Als ich Hirtin sein sollte, fiel mir das viel schwer, auch weil mir immer noch nicht alle Namen wieder präsent waren. Mäh! – Lara? Mäh! – Johannes? Mäh!Mäh! – Nicht vielleicht doch Lara oder Johannes? Wir spielten lange und vergnügt, dann begann ich meine Sachen zusammen zu packen und nach dem Obstteller zu schielen, einen Kaffee hätte ich eigentlich auch gut gebrauchten können.

    Wie aus dem Hinterhalt fragte mich (wahrscheinlich) Lara, ob wir denn jetzt noch Papierboote basteln würden. Mit einem Blick auf die Uhr stimmte ich zu, ein schnelles Boot war drin (hatte ich heut früh ja auch hinbekommen). Ich setzte mich mit den Bastelwilligen an einen Tisch und legte los. Was ich ebenfalls nicht bedacht habe: Dass Kitakinder schon mit dem Kniffen eines Blattes in der Mitte Schwierigkeiten haben können und basteln ewig lange dauert. Sara – kannst du mir helfen? Sara – wie geht das? Ich weiß nicht, wie ich das falten soll.. Ist das richtig so? Immer mehr Kinder kamen jetzt dazu und wollten auch basteln. Oh je. Auch ein weiterer Erzieher setzte sich an den Tisch und nahm sich ein Blatt Papier. Aber weder diese neue Typ, noch der schlecht Gelaunte wusste, wie man Papierboote faltet. Ist das nicht Grundwissen für Menschen, die mit Kindern zu tun haben? Ich zückte das Handy, oha, so spät war es mittlerweile schon. Eigentlich wollte ich jetzt schon draußen sein. Die Boote der Kleinen befanden sich noch im Hut-Stadium. Die aufgerufene Anleitung der Suchmaschine half mir dieses Mal nicht. Zu viel Chaos. Zu viel Hektik. Zu viel Saraaa! Ich musste mich schließlich geschlagen geben. Zwei Papierboote würden mir an diesem Tag definitiv nicht gelingen.

    In der Gemeinde weiß man, wie ich zum Basteln stehe (= Sara hasst basteln). In der Kita weiß man es jetzt auch. Als ich mich kurz darauf von den weiter bemüht kniffenden und faltenden Kindern verabschiedete kündigte ich an, das nächste Mal Papierboote bis zum Ende mit ihnen zu basteln. Seufz. Das engt die Auswahl an Geschichten dann immerhin schonmal ein. Vielleicht Sturmstillung? Bestimmt lässt sich da zur Not auch noch was mit Schafen einbauen. Oder Ferngläsern. Mäh.

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  • Familienbande

    Das letzte Drittel 2022 hängt mir noch ganz schön in den Knochen. Zwei Todesfälle in der eigenen Familie, eine (immerhin freundlich verlaufene) Trennung und dazu allerhand Trubel in der Gemeinde auf diversen Ebenen und intensive Vorbereitungen auf eine Weiterbildung. Beziehungsmäßig brachte der Herbst, jedenfalls in meiner Welt, allerhand Veränderung. Das Leben macht nicht Halt vor Menschen im Pfarrdienst. Irgendwie geht das dann auch: eigene Trauer und Beisetzungen anderer Menschen, emotionale Verwirrung und lange Sitzungen im Presbyterium, viele innere Fragezeichen und dennoch und mit ihnen predigen.

    Die Weihnachtszeit war intensiv und schön, auch der Jahreswechsel mit der Verabschiedung unseres Vikars. Der ist jetzt plötzlich Pfarrer und ich freue mich, am Telefon von seinen ersten Schritten im Dienst zu erfahren und ein bisschen mitzufiebern. Auch ihn hat es für die erste Stelle aufs Land verschlagen und er hat jetzt das „Vergnügen“ der aufregenden, tausend ersten Male. Es rührt mich merkwürdig an, dieses Loslassen und Schauen, wie es ihm da in der Ferne geht.

    Kurz nach Neujahr setzte mich ein garstiger Infekt außer Gefecht. Die ersten Schritte in 2023 waren also etwas wacklig. Langsam finde ich aber Gefallen an diesem Januar, auch weil ich wieder Dinge jenseits von Knäckebrot und Tee zu mir nehmen kann und sogar richtig viel davon. Und weil ein Urlaub Anfang Februar in Sicht ist. Und weil sich immer wieder kleine und größere Kraftwerk-Momente ergeben, die gut tun. Leben macht zum Glück nicht Halt vor Menschen im Pfarrdienst.

    Der letzte Donnerstag war zunächst ein schrecklicher Tag. Er begann mit großem Widerwillen, überhaupt aufzustehen und zu arbeiten (=Herbstfolgen und Urlaubs-Überreife). Nach einem Seelsorgegespräch erhielt ich auf meinem Telefon eine Absage für eine Verabredung, auf die ich mich eigentlich sehr gefreut hatte. Bummer. Nachmittags entdeckte ich auf dem Weg zum Blumenladen, dass Ross einen Platten hinten rechts hatte. Ich wollte gerade nach Hause aufbrechen, mein Onkel Hajo feierte runden Geburtstag. Statt zügig mit schöner Musik durch die Landschaft zu düsen musste ich mich nun um die Reparatur kümmern und mit den Öffentlichen fahren, was doppelt so lange dauert. Noch dazu hatte ich einen ausgemachten Menschenhasser-Tag. Natürlich gab es Verspätungen. Es regnete. Meine Laune war so sehr im Keller, dass ich mich selbst kaum ertragen konnte.

    In dieser Stimmung kam ich am frühen Abend zuhause an und wurde unverhofft und beglückend von wärmenden Familienbanden umfangen. Meine Mutter holte mich vom Bus ab, fast wie früher als ich ich noch klein war. Sie kündigte an, dass Hajo eine Überraschung für mich habe. Zusammen gingen wir den kurzen Weg zum Haus, in dem meine Großeltern gelebt hatten und wo nun mein Onkel alleine wohnt. Es war draußen schon dunkel, aber der Garten war von lauter kleinen Kerzenlichtern erhellt, Musik spielte, die ersten Freundinnen und Freunde von ihm waren da. Ein schöner Anblick, absolut einladend und gemütlich.

    Ich fand meinen Onkel an der Feuerschale, gratulierte ihm und fühlte mich schon ein ganzes Stück besser. Er freute sich merklich, dass ich da war und ich freute mich auch. Hast du Hunger? Komm, ich mach dir was warm. Ich hab eine Überraschung für dich. Hab gestern was gekocht für dich, wirst gleich sehen. Nudeln wie von Oma.

    Es war der erste Geburtstag, seit meine Großmutter im Herbst gestorben ist. Obwohl sie nicht da war, war sie präsent. In den Nudeln mit Tomatensoße und der Grießklößchensuppe, die Hajo gekocht hatte. In den Erinnerungen an sie, die ich mit Hajos Freunden am Feuer und in der Remise teilte. In der kleinen Traurigkeit, die mich überfiel wenn ich auf das Haus schaute und mir bewusst wurde, dass sie nicht heraus getappt kommen würde, um sich auch eine Bratwurst zu holen.

    Als Teenagerin hatte mich Hajo öfter zu Konzerten und kleineren Festivals mitgenommen. Dabei lernte ich auch seine Leute kennen: langhaarige, freundliche Hippies mit dem Drang, raumgreifend in der ersten Reihe zu tanzen und Eierlikör in abstrusen Mischungen zu trinken. Hajo und ich saßen damals stundenlang bei Neil Young, Rio Reiser, Pink Floyd und the Police zusammen, Hajo rauchte, suchte nach Kassetten oder CDs für die nächste Lerneinheit und ich lauschte.

    Über 20 Jahre später begegnete ich seinen Hippie-Freunden nun wieder und war ganz verzaubert. Ich hörte neue Geschichten über meinen Onkel, auch über meine Großmutter. Ich trank Eierlikör (ohne Mischung) und Whiskey, teilte Brot und Zeit mit Hajos bester Freundin, die ich bisher nur aus seinen Erzählungen kannte. Hajo war glücklicher Gastgeber. Und ich fragte mich, warum ich so lange nicht bei diesen Festen dabei gewesen war. Tolle Leute. Und eben auch Heimat und Familie irgendwie.

    Und irgendwann fand ich mich am Feuer mit Hajos Freund Ralf aus Armeezeiten wieder. Ralf erzählte mir, dass seine Großmutter ihn früher immer mit auf Beerdigungen genommen habe und dass er das als Kind richtig toll fand. Er habe auch schon konkrete Vorbereitungen getroffen für den Fall, dass er sterben würde. Und dann schaute mich Ralf an, mit lachenden Augen und sprach: Weißt du Sara, lass mich dir mal was sagen. Ich bin jetzt fast 60 und habe viel erlebt. Und eine Sache habe ich gelernt, und die will ich dir erzählen. Weil sie so gut ist. Und ich davon absolut überzeugt bin. Das ist einfach meine Lebenserfahrung: Alles sortiert sich irgendwann so hin, wie es sein muss. Und dann ist es gut. Richtig gut. Das wird für Hajo so sein. Und für dich auch. Vertrau mir. Und ich? Ich konnte ihm das glauben.

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  • Aus gegebenen Anlass: Als ich Weihnachten feierte, dass kein Kind geboren wurde

    Heiligabend vor fünf Jahren. Damals war ich noch auf meiner Stelle im Probedienst. Vier Gottesdienste  in verschiedenen Dörfern lagen an, manche mit einem Krippenspiel, andere mit einem kleinen Flötenchor oder in einer Kirche, die nur von Kerzenschein erleuchtet wurde. Ein ziemlicher Kraftakt, aufregend, aber auch schön. 

    Bei einer Mitarbeiterin und deren Familie war ich nach den ersten beiden Gottesdiensten zum Abendessen eingeladen, was ich dankbar annahm. Ein reich gedeckter Tisch, Kartoffelsalat, Würstchen, Tee und Brote, Wein. Die Stärkung war dringend nötig. Das Essen schmeckte gut. Die Gesellschaft war angenehm. Wohlige Wärme und Schläfrigkeit breitete sich in mir aus. Ich musste mich daran erinnern, nicht zu sehr zu entspannen, zwei Gottesdienste würden schließlich noch folgen. Als ich das Auto für die letzte Fahrt an diesem Abend mit meinen Sachen packte, kam eine Nachricht von Rahel auf mein Telefon. Bin auf dem Weg ins Krankenhaus. Das Kind kommt.

    Doch das konnte nicht sein. Es war viel zu früh, der Geburtstermin war eigentlich für Mitte März berechnet. Noch war das Kleine nicht lebensfähig. Die gesamte Schwangerschaft war schon schwierig gewesen, immer wieder gab es Momente in denen wir um das Leben des Kindes bangten. Der werdenden Mutter war zuletzt Ruhe verordnet worden, Beschäftigungsverbot, viel Liegen. Nun hatten an Heiligabend doch die Wehen eingesetzt. Ich konnte nur ahnen, in welch großer Sorge sich Rahel und ihr Mann befanden. Und mir geschah es, dass ich an jenem Heiligabend die Geburt des einen Kindes feierte und mit jeder Faser meines Daseins dafür betete, dass das andere Kind nicht geboren werden würde. Jedenfalls noch nicht. Bitte noch nicht. Während des vorletzten Gottesdienstes kamen neue Nachrichten. Wurde in ein anderes Krankenhaus verlegt.  Es braucht Spezialisten für Frühgeburten.  In so einem Zustand noch ein Transport? Ob das gut gehen würde? Und kurz vor der Christnacht schließlich:

    Habe Wehenhemmer bekommen. Und ein Mittel, das bewirkt, dass die Lunge des Babys sich schneller entwickelt. Wenn das Kind nicht in den nächsten 48 Stunden kommt, kann es vielleicht überleben. Bete für uns.  Wie viel Spannung und Aufregung konnte ein Mensch ertragen? Ich war voller Sorge, voller Unruhe und wie elektrisiert. Ein Gefühl von klammer Ohnmacht machte sich breit. Ich war so weit weg, konnte nichts tun, aber wollte so gerne. 

    Die Christnacht klang anders als in den Jahren zuvor, ernster, besorgter. Ein Kind wurde geboren und auch sein Leben war gefährdet, von Anfang an. Ich verstand mehr von der Sorge und schließlich auch mehr von der Freude. 

    An Weihnachten vor fünf Jahren wurde kein Kind geboren. Auch nicht in den 48 Stunden danach. Am 30. Januar erblickte ein sehr kleines Mädchen das Licht der Welt, immer noch  6 Wochen zu früh, aber kräftig genug um zu überleben. 

    Bald feiern wir also Kindergeburtstag. Und an Weihnachten feiern wir jedes Jahr, dass die Kleine nicht geboren wurde. 

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  • Die Lobby des Tannenbäumchens

    Und schwupp, schon wieder Advent. Über der Eingangstür der Kirche leuchtet der gelbe Herrnhuter Stern. In der Kirche wurde der große Adventskranz an der Decke angebracht. Das Tannenbäumchen auf dem Platz neben der Kirche trägt seit gestern (Sonntag, 1. Advent) auch seine obligatorische Lichterkette.

    Natürlich haben die Tannenbäumchen – und Lichterkettenverantwortlichen des hiesigen Ortsvereins niemanden von der Kirchengemeinde informiert, wann sie die Erleuchtung vornehmen wollten. Wozu auch? Ist die Pfarrerin nicht Tag und Nacht betend in der (eiskalten, unsanierten) Kirche? Purer Zufall, dass unser Organist Robert um 14 Uhr nachmittags noch für ein Konzert übte und tatsächlich in der Kirche war. Und dass Robert mich am Telefon erwischte, kurz vorm mittäglichen satt-zufriedenen Wegdämmern auf der Couch. Wenig zufrieden stapfte ich also zurück zur Kirche, suchte mit nach Kabeln, Matten und der Zeitschaltuhr, was man nicht alles macht als Theologin. Der Baum sieht schon ein wenig mitgenommen aus, mit trockenen, braun-grauen Stellen auf der einen Seite. Unklar ob die Lichterkette vorteilhaft ist für seine Optik.

    Letztes Jahr Ende November wurde der Baum mit großem Tamtam des Ortsvereins eingepflanzt, die Trockenheit im Sommer dieses Jahres hat ihm (wie zu erwarten war) ganz schön zugesetzt. Im Ortsverein hat das Bäumchen viele begeisterte Anhänger:innen, eine richtige Lobby (sie haben ihn auch besorgt und gepflanzt und nach Kräften gegossen). Der Vorsitzende des Vereins zeigte mir gestern dann auch stolz das frische Grün an seinen Zweigen (vorhanden) und wies darauf hin, wie sehr der Baum schon gewachsen sei (meh, vielleicht). Er prognostizierte eine große Zukunft. Wir werden sehen.

    Unsere Gemeinde hat neuerdings einen Instagram-Kanal. Das spontane Einrichten (es war eigentlich schon lange geplant) während des gemeinsamen Adventskranz-Bastelns und die ersten Erfahrungen damit waren von unangenehmer Selbsterkenntnis begleitet. 1. Es sind 10 Jahre (!!!) vergangen, seit ich meinen privaten Instagram Account erstellt habe 2. Ich brauche Hilfe.

    Zwischen Heißklebepistolen, Tannengrün, Deko-Zeug und Basteldraht posiert Maria, eine ehemalige Konfirmandin, mit ihrem hübschen Adventskranz. Sieht toll aus. Das Basteln hat sie eindeutig besser raus als ich. Social media und Selbstdarstellung auch. Maria hat Mitleid mir mir und erklärt mir, was Hashtags sind. Ich weiß, was Hashtags sind. Aber ich habe bei Insta und Facebook den Anschluss verloren, als plötzlich alles voller Selfies und Kurzvideos war. Mir ist nicht klar, was Stories sind und wie ich Reels fabriziere. Plötzlich spüre ich sehr deutlich die 10 Jahre. Maria und einige andere mit Öffentlichkeitsarbeit betraute Leute greifen unterstützend ein. Ein Video zu Werbezwecken entsteht, ich lache fröhlich in die Kamera. Noch.

    Später am Abend klage ich Rahel am Telefon mein Leid. Ich wolle Bilder der Gemeinde auf meinem privaten Account teilen, und versuche es schon stundenlang, aber es klappe einfach nicht. Rahel tröstet mich und sagt, dass ihr die Bilder angezeigt würden und es wohl doch funktioniere. Meine Erleichterung darüber dauert nur so lange bis mir ein Kollege (unangenehm technikaffin) schreibt, dass ich acht (!) Mal dieselbe Story gepostet habe. Mir ist unklar, wie das passieren konnte. Mir ist ebenso unklar, wie und ob das wieder rückgängig zu machen ist. Und nach wie vor beschäftigt mich die große, unbeantwortet Frage: Wtf ist eine Story??

    Wenn ich diese Woche richtig krass drauf bin mache ich ein Kurzvideo bei Insta. Vom Tannenbäumchen neben der Kirche. Mit Filter, wo Schnee fällt oder Glitzerregen oder so. Mehr content. Mehr Blingbling. Auf dass er Frucht bringe – 8fach, 10fach, 100fach – wir werden sehen.

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  • Ewigkeit und Jugend

    Am Endes des Kirchenjahres fügt sich gerade so manches zusammen. Die letzten gelben Blätter fallen von den Bäumen, ein wenig blüht es noch in den Blumenbeeten an Kirche und Gemeindehaus. Letzten Montag wurde meine Großmutter in meiner Heimatstadt beigesetzt, früh am Morgen. Die Novembersonne leuchtete uns zum Grab, es war fast surreal hell. Ein guter, stimmiger, trauriger Abschied. Dass auch die Nachbarn und Freunde weinten tröstete mich. Geteilte Trauer. Ungeahnt wohltuend.

    Der Herbst dieses Jahr scheint besonders bunt und hell zu sein. Die Felder und Parks haben sich einem richtigen Farb- und Lichtrausch hingegeben. Vielleicht ein letztes Aufbäumen gegen den grauen Winter am Stadtrand? Oder doch eher ein erleichtertes „endlich geschafft“ am Ende eines langes Sommers?

    Die letzten Wochen waren aufreibend, zuhause und auch privat. Pfarrdienst ist tricky wenn man selbst gerade nicht gut aufgestellt ist und schneller als üblich aus dem Gleichgewicht gerät. Die Frauen, zu deren Natur das Lästern und Schimpfen (DAS war wirklich schon immer so) gehört, werden dann größer und lauter als sie eigentlich sind. Der ernste Blick des Vikars spricht fatale Bände. Die Bürokraft beweist in noch kürzeren zeitlichen Abständen, dass Kontakt mit Menschen wirklich nicht ihre Stärke ist und Lernfähigkeit ebenso wenig. Das Presbyterium duckt sich besonders ärgerlich vor seinen Aufgaben und Verantwortungen. „Die Gemeinde“ beschwert sich einheitlich und mit viel Ausdauer über die Arbeit des Diakons, aber natürlich nur bei mir. Und ich hätte eigentlich Urlaub machen sollen statt mich mit all dem rumzuschlagen. Menschen. Bedürfnisse. Es ist kompliziert.

    Lichtmomente ergeben sich auch jetzt und sie leuchten besonders. Das Gebet von Frère Roger, das der Vikar während einer Taizéandacht wählt, überflutender Trost. Seit Wochen bin ich endlich wieder bei Stimme an diesem Abend und kann singen, andere singen mit, sogar vierstimmig und oh, ist das herrlich und schön – das hatten wir hier noch nie. Hinterher sitzen wir im Gemeindesaal zusammen und erzählen, spielen, lachen bis die Tränen kommen. Ich bin erschöpft, heiser und höre schnupfenbedingt nur die Hälfte, aber es ist ein Fest.

    Die Konfis rühren mich besonders an in diesem Jahr. Sie sind zu dritt, kannten sich vor Beginn der Konfizeit nicht und gehen total gut um mit den Themen und sich selbst und den anderen. Sie haben richtig Bock was zu machen. Jetzt am Sonntag haben sie die Gedenken für zwei Verstorbene übernommen und waren dabei ganz ernst und echt. Das ging mir richtig durchs Herz. Am Sonnabend haben sie Ewigkeitsboxen gestaltet. Drei völlig verschiedene Vorstellungen davon, wie es nach dem Tod weitergeht. Weiß-silberne Rampen auf Wolken, klingende Bewegungen, Weite. / Ein Weg auf dunkler Erde an dessen Ende eine weitere Tür steht und ein Engel wartet darin. Ein herrlicher Kronleuchter aus Schellen macht es hell./ Es gibt Dunkles und Helles. Leben wächst weiter. Alle unsere Namen stehen am Nachthimmel und bilden den Großen Wagen. Zusammen in der Ewigkeit, ein Zeichen für alle, die nach oben sehen./

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  • Die Aussicht

    Auf meinem Lieblingsbild von ihr steht sie auf einem Felsvorsprung, ein Fernglas an die Augen haltend. Eine große, schlanke Gestalt. Ihr Rock weht leicht im Wind. Rechts von ihr der Pavillon, darin jemand, der in die gleiche Richtung schaut. Vielleicht mein Großvater. Vielleicht jemand anders. Die Aussicht, die beide betrachten, verrät das alte Foto nicht. Ich weiß nicht, was sie in dem Moment gesehen hat. Ob da ein großer Wald war oder zerklüftete Felsen oder ein See, vielleicht auch eine Stadt? Die Aufnahme ist schwarz-weiß. Sie erzählt nichts von den Farben, die sie umgeben haben. War es Sommer? Oder ein ungreifbar schöner Herbst, wie in diesem Jahr?

    Als ich am Sonnabend mit Ross zu meiner Familie fuhr präsentierte sich die heimische Landschaft wie aus dem Bilderbuch. Sonnendurchflutete Weiten, der Fluss und die Wiesen glitzerten, das Grün satt und frisch. Links und rechts der Straße leuchteten die Bäume in gelb und rot, ein richtiges Farbspektakel, fast zu schön, um wahr zu sein. Ich hab schon immer Schwierigkeiten, den Herbst kommen zu lassen. Meine Großmutter nahm die Jahreszeiten, wie sie kamen. Das gehört eben dazu. Meine Großmutter wurde 90 Jahre alt.

    Zwischen diesen Hügeln, Wiesen und Wassern spielte sich der Großteil ihres Lebens ab. Hier ging sie mit ihren Freundinnen zum Tanz. Fuhr mit dem Rad, ihrem Mann und ihren Kindern und später auch mit mir in die nächste Stadt zum Eisessen. Kannte die kürzeren Wege durch den Wald. Schaute den anderen beim Baden zu. Mit etwas Abstand, aber lachend.

    Ich erinnere mich an ihre Hände, wie sie früher waren. Schlanke Finger, immer etwas rau. Vielleicht waren das auch Spuren von der Feldarbeit bei ihren Eltern und später bei meinem Großvater. Wenn sie von ihrem ersten Zuhause erzählte, kam es mir vor wie ein Märchen. Ein kleines Haus in einem Ort an einem fremden Fluss. Zwei Brüder. Eine Schwester. Es gab einen zahmen Raben, der sprechen konnte.

    Ihre Stimme klingt mir noch in den Ohren. Die war auch immer etwas rau. Zum Schluss hat sie wenig mit mir gesprochen. Manchmal hat sie einen Scherz gemacht und lächelnd die schmalen Schultern hochgezogen und ihre Augenbrauen auch.

    Auf dem Hof hinter dem Haus hingen am Sonnabend ihre Nachthemden an der Wäschespinne. Helles Rosa. Weiß. Sie waren das Erste, was ich beim Ankommen sah. Mein Onkel hatte sie am Vormittag noch gewaschen und aufgehangen. Damit sie welche hat, wenn sie nach Hause kommt.

    Der Hof ist ein blühendes Paradies. Ihr Sohn (mein Onkel) hat vor ein paar Jahren seinen grünen Daumen entdeckt. Zwischen Blumen in allen Farben und Formen ist meine Großmutter ganz langsam weniger geworden. Weniger aufrecht. Weniger stark. Weniger sie selbst, wie ich sie kannte. Mehr wie ein Kind. Mit großen Augen, mal staunend, mal misstrauisch. Manchmal hat sie große Angst bekommen, wir wissen nicht wovor. Dann hat es geholfen, wenn man sie in die Sonne zwischen die Blumen oder an das Ufer des Sees gesetzt hat. Licht hilft gegen Dunkelheit. Wärme gegen Kälte.

    Meine Mutter, mein Onkel und ich saßen am Sonnabendnachmittag vor der Haustür und blickten in den Hof. Auch wir waren weniger geworden. Die Wäsche hatten wir reingebracht, den Anblick hielt keine:r aus. Die Herbstsonne tauchte alles in warmes Licht. Die dürren Bäume wogten knarrend im Wind. Eine fehlte.

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  • September

    Bei einem Friedensgebet kurz nach den Sommerferien meinte ein Pfarrer im Ruhestand zu mir, dass für ihn damals die Zeit nach der Sommerpause zu den anstrengendsten im ganzen Jahr gehörte. Er meinte sogar, sie sei noch schlimmer als die Adventszeit: Schuljahresanfangsgottesdienst, der neue Konfirmandenjahrgang, Elternabende und dann kommt ja auch schon Erntedank! Furchtbar!

    Mir ging es in diesem Jahr erst überhaupt nicht so und dann volle Kanne. Unsere Konfizeit beginnt schon nach Pfingsten. Elternabende und Gespräche hatte ich also schon durch. Dafür lagen in den letzten Wochen für unsere Verhältnisse wahnsinnig viele Taufen an. Normalerweise bestehe ich auf Taufen im Sonntagsgottesdienst, damit die Gemeinde auch dabei ist und sehen kann, wer alles Neues dazukommt und die Familien auch uns kennenlernen. In diesem Herbst wäre das einfach zahlenmäßig nicht gegangen. Pro Gottesdienst hätten wir locker vier Kinder taufen können. Also bin ich auch auf Samstage ausgewichen, wo dann bisher auch jedes Mal mindestens zwei Taufen gefeiert wurden. Rückblickend fühle ich mich etwas wie Sara, die Täuferin, Ohne Fluss und Kamelhaarmantel. Aber durchaus etwas durch den Wind.

    Zusätzlich zu Taufgesprächen, normaler Gottesdienstvorbereitung und den üblichen Gruppen und Kreisen fielen auch noch zwei Beisetzungen an, die beide von einer eigenartigen Mischung aus großer Trauer und großer Dankbarkeit durchzogen waren. Zwei Männer waren verstorben, beide 77, beide liebevolle Ehemänner, Väter und Großväter. Ich hörte von einer Damenwahl um Mitternacht, in der die damals Siebzehnjährige ihren zukünftigen Ehemann mit einer langen Halskette wie mit einem Lasso! einfing und zum Tanz aufforderte. Und ich stellte mir vor, wie der andere mit acht Kindern in einem PKW und einem Blech Kuchen zum nächsten Badesee fuhr.

    Die mittlere Tochter des Letzteren hat einen Musiker geheiratet, der zur Beisetzung spontan mit seinem Bruder musizierte. Ein studierter Jazzgitarrist und ein klassischer Violinist und Komponist. Der Gitarrist spielte sich im Gemeindesaal warm, während ich meine Sachen im Büro zusammensuchte. Was für ein schöner Soundtrack! Nachdem er eine Jazzversion von “Africa” von Toto gespielt hatte, musste ich ihn doch ansprechen und etwas bewundern. Er zeigte sich beeindruckt, dass ich das Lied erkannt hab. Und ich hab mich gefreut, es mal wieder zu hören und in Jugenderinnerungen zu schwelgen (in meiner Peergroup hatten irgendwie alle eine Toto-Phase). In seiner Heimatgemeinde spielt er wohl manchmal mit Jugendlichen im Gottesdienst. Schade, dass das zu weit weg von hier ist.

    Beim Trauercafé im Anschluss an die Beisetzung erzähle ich ihm, dass unser (wirklich sehr guter) junger Kantor eher alte Kirchenmusik bevorzugt und aus Überzeugung moderne Musik eher ablehnt. Beim Taufgottesdienst in der Kirche drei Tage später traue ich meinen Ohren kaum. Haben sich da tatsächlich Blue Notes eingeschlichen? Was spielt er da an der Orgel? Als ich ihn im Anschluss danach frage, antwortet er etwas verlegen Das war was Modernes, ich dachte, das passt zum Anlass heute. Wow. Das ist auch mal schön, völlig unerwartet das zu bekommen, was man sich heimlich gewünscht hat. Guter Mann, unser Kantor, sonst aber auch.

    Bis Ende September müssen zu meinem Leidwesen auch Bauanträge und derlei Dinge eingereicht werden. Bau ist etwas, das mir unheimlich ist. Grundstücksangelegenheiten mit Pacht und Co. ebenso. Zum Glück gibt es Menschen aus Verwaltungsämtern, die Gemeinden bei derlei Dingen unterstützen. Nur schade, wenn gleichzeitig alle Mitarbeitenden entweder krank, im Urlaub oder total überarbeitet (wegen Leuten die krank oder im Urlaub sind) sind. Zwischendurch hatte ich einige unruhige Nächte weil ich nicht wusste, woher ich eine halbe Million für eine Sanierungsmaßnahme bekommen sollte. Für manche sind solche Beträge ja Peanuts. Mich machen sie ziemlich nervös. Als ich mit der zweiten Vertretung unseres Baubetreuers telefonierte, war ich den Tränen nahe. Soll ich mir jetzt etwa selbst ausdenken, wie wir die Finanzierung machen? – Im Prinzip Ja. – Aber ich KANN das doch gar nicht!

    Ich bin froh, dass ich in der Gemeinde Leute um mich hab, die sich mehr auskennen mit derlei Dingen. Die selbst gebaut haben und die Ämter, Menschen und Immobilienheinis hier kennen. Und die mich trösten und sagen Dann dauert es halt länger mit dem Bau. Vielleicht ist das sogar ganz gut und der Markt hat sich bis dahin wieder etwas beruhigt. Ich weiß immer noch nicht, woher ich eine halbe Million nehmen soll. Aber es tun sich Wege auf, die es nicht ganz unmöglich erscheinen lassen. Gonna take some time to do the things we never had (oh oh). Das reicht mir im Moment. Wir werden sehen, was passiert. Und ihr werdet wohl davon lesen. Genießt den Herbst! Bis bald 🙂

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  • Wochenend-Symptome

    Am Montag vor zwei Wochen dachte ich, ich wäre einfach überarbeitet. Kein Wunder, es war ein übertrieben volles Wochenende mit wenig Schlaf und viel Aufregung.

    Den Freitag vor dem vollen Wochenende verbrachte ich auf einer Busreise mit den Seniorinnen und Senioren. Kurz nachdem wir wieder in heimischen Gefilden waren, fand das abendliche Taizégebet in der Kirche statt mit anschließendem geselligen Beisammensein. Unsere ukrainischen Gäste konnten am Samstag spontan in eigene Wohnungen umziehen und der Umzug musste in den Tagen davor organisiert werden. Der neue Konfijahrgang traf sich parallel das erste Mal und für den Abend hatte ich Konzerttickets mit Rahel. Am Sonntag war Familiengottesdienst mit Seifenblasensegen und Windräderbasteln, danach eine Bandprobe und abends ein eigenes, kleines Konzert.

    Alles schöne und gute Sachen, auf die niemand hätte verzichten wollen. In der Kombination und in der Kürze der Zeit war es ein richtiger Marathon und ich bin unendlich dankbar und kann immer noch nicht fassen, dass alles einigermaßen geklappt hat, vor allem der Umzug.

    Am Mittwoch wurden die Mietverträge unterschrieben. Bis Samstag konnte ich einen Transporter plus Fahrer, einige Möbel und Umzugshelfende finden (die Konfis konnten gleich mit anpacken) – alle ehrenamtlich, alle so kurzfristig einsatzbereit, irre. Als unsere Gäste Anfang April ins Gemeindehaus zogen, hatten sie kaum mehr als ein paar Taschen und Rucksäcke. Als die Sachen der zwei Familien am Samstag vor zwei Wochen nach unten vor das Gemeindehaus gebracht wurden und ich den Transporter zum ersten Mal sah bekam ich einen leichten Panikanfall. In den paar Wochen war Einiges dazugekommen, teilweise aus der Ukraine geschickt, teilweise aus Spenden. Wie sollte das denn alles passen?

    Alexander, der Fahrer des Transporters, beruhige mich. Das wird schon alles, das passt rein, ich seh das. Alexander hatte an dem Tag jedoch nur Zeit für eine Fahrt (die Wohnungen sind in einer Stadt in der Nähe, aber es dauert schon insgesamt eine Stunde Fahrt). Es war gut, dass zusätzlich noch drei Autos im Einsatz waren, wovon zwei am Morgen noch gar nicht wussten, dass sie mitfahren würden. Was das alles für ein großes Glück war realisierte ich in diesen hektischen Momenten nur ansatzweise und wenn das dazugehörige Gefühl einsetzte, bekam ich einen dicken Kloß im Hals und feuchte Augen. Ohne diese, unsere Leute und ihre Hilfe hätte das nicht funktioniert. Zu viel Raum konnten ich meiner aufkommenden Rührung ohnehin nicht geben, denn im Gemeindesaal warteten die Konfis und dachten darüber nach, wie sie am Tag darauf das Basteln der Windräder erklären und sich selbst dabei der Gottesdienstgemeinde etwas vorstellen könnten. Und was sie mit auf das Konficamp am nächsten Wochenende nehmen würden. Es ist eine kleine, feine Truppe in diesem Jahrgang. Ich bin gespannt, wie es mit denen wird.

    Am späten Nachmittag, als die Konfis nach Hause gegangen waren, fuhr ich die letzte Fuhre mit Auto Ross in die neuen Wohnungen. Dinge für das Baby. Ein paar Stühle. Einige Kisten. Zum Glück ist Ross ein Kombi. Zum Glück gibt es Mate-Limonade und Kaffee. Die neuen Wohnungen sind frisch saniert. Neue Küchen. Neue Bäder. Ein Blick ins Grüne. Hoffentlich gute Orte für unsere ehemaligen Gäste. Gemeinsam luden wir das Auto aus. Nach einem Glas Wasser und einer kurzen Pause fuhr ich zurück. Erschöpft und erleichtert, beglückt und trotzdem noch angespannt. Viele Ämtergänge stehen für die Ukrainerinnen noch an. Wer wird ihnen nun vor Ort helfen?

    Das Konzert mit Rahel war großartig, laut, staubig, so viele Menschen und so viel Spaß. Ich tanzte und sprang und sang mit, so laut ich konnte. Tausende um uns herum taten dasselbe. Ich scheuchte und hüpfte die Anspannung und die Sorge aus meinen müden Knochen. Ich hatte vergessen wie gut das tut, auf diese Weise mal den Kopf auszuschalten.

    Der Gottesdienst am nächsten Morgen war bunt und trubelig. Die Konfis machten ihre Sache charmant und fröhlich. Meine Stimme war etwas tiefer und rauher als sonst, kein Wunder nach dem letzten Abend. Ab und an musste ich husten. Ich schiebe es auf den Staub an der Freilichtbühne. Beim anschließenden Proben für das kleine Konzert am Abends merke ich, wie müde ich bin. Mate. Kaffee. Ab und zu mal hinsetzen. Aber das Singen und Spielen macht Spaß und gibt Energie. Auch abends bei dem Konzert in einem Kirchgarten in der Nachbarschaft. Ein Sommerabend, kühle Getränke, Musik und entspannte Stimmung – ich bin ziemlich durch und ziemlich zufrieden.

    Es gab also genug Gründe, am Montag richtig erschöpft zu sein. Dass es dann doch das Virus war, überraschte mich. Im Fiebertrudel der ersten Tage hatte ich immer wieder das Logo des Jobcenters vor Augen. Wäh. Wenn mich diese Briefe schon so stressen, wie muss es dann erst für die Ukrainer:innen sein? Und natürlich hatte ich große Sorge, dass ich jemanden angesteckt haben könnte. Niemand ist krank geworden, Gott sei Dank. Die Konfis konnten aufs Camp und hatten scheinbar auch so eine großartige Zeit (dank toller Kolleginnen und Kollegen). Ich hab geschlafen, gelesen, gebingt und gestaunt, was alles in so kurzer Zeit geschehen kann. Und wie gut es doch ist, nicht alles alleine stemmen zu müssen und zu können. Gut für alle.

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  • Unterm Kirschbaum

    Im letzten Blogeintrag schrieb ich davon, zum ersten Mal seit Ewigkeiten keine Beisetzung vor mir zu haben. Einen Tag später kam der Anruf vom Bestatter (ich hatte es wissen müssen). Gestern früh um 8. 30 Uhr (!) war ich deshalb auf dem Friedhof und blickte in einen offenen Sarg auf eine kleine, zarte Frau und die verweinten Gesichter ihrer Angehörigen. Die Verstorbene war 96 Jahre alt geworden und wurde liebevoll von ihrer Familie begleitet, lange leiden musste sie nicht. Ein vergleichsweise gutes Ende also. Trotzdem hatte ich gestern Mühe, die Fassung zu behalten. Denn der Tag davor war so voller gegensätzlicher Eindrücke, dass ich befürchtete mein Herz würde auseinanderreißen oder in meiner Brust schmerzhaft anwachsen auf mindestens doppelte Größe. In so einer Verfassung sind meine eigenen Tränen nur sehr knapp unter der Oberfläche. Und das Grün der Bäume und Sträucher war hell und dunkel zur gleichen Zeit und auf dem sehr weiten Weg zum Grab grüßten stumm alte Grabsteine, die seit Jahren nicht mehr besucht wurden.

    Am Morgen zuvor war ich mit unseren Gästen aus der Ukraine unterwegs, um mögliche Wohnungen anzuschauen. In den beengten Räumen der Gemeinde – auf Dauer ist das kein Zustand. Für den Termin mit dem Immobilienmakler haben die Damen sich herausgeputzt. Sie wollen einen guten Eindruck machen. Ich auch. Auf dem Weg vom Bahnhof zu den Häusern fängt Daria (15, großer BTS-Fan) plötzlich an zu weinen. Mit von Schluchzern unterbrochener Stimme spricht sie mit ihrer Mutter, die versucht zu trösten. Als ich mich umdrehe, sehe ich den Anlass für das große Unglück: Von ihrem BTS-Beutel ist ein Träger gerissen. Sie hält den Beutel in den Händen wie ein verwundetes Tier. Wir gehen weiter, die Zeit drängt, Daria kann sich kaum beruhigen, schnieft immer wieder, die Tränen laufen aus ihren großen Augen und ich wünschte, ich könnte ihr sofort den bescheuerten Beutel reparieren und es ihr irgendwie leichter machen. Das Mädchen will nach Hause, in ihre Wohnung, in ihr Zimmer, in ihr altes Leben. Was willst du auch machen mit 15 Jahren, als Geflüchtete in einem fremden Land, in einer Stadt von der du noch nie gehört hast, mit kaum Kontakt zu Gleichaltrigen?

    Die Wohnungsbesichtigungen laufen gut. Der Makler ist freundlich. Ich bin angespannt ob alles klappt mit den Ämtern, der Kostenübernahme, den Umzügen. Ich stelle mir vor, wie “unsere” beiden Familien hier leben, sich einrichten, einen Alltag finden. Wie der Schulweg für Daria sein wird. Ob sie sich wohlfühlen kann. Ob das Baby von Christina hier seine ersten Schritte machen wird. Ob die Nachbarn freundlich sind.

    Einen halben, vollen Arbeitstag später (u.a. Beisetzung fertig machen und eine baldige Hochzeit planen) finde ich mich unter dem Kirschbaum im Kirchgarten wieder. Baby Andriy feiert halbjährigen Geburtstag. Dieses Kind ist zusammen mit seiner Mutter, Großmutter und Urgroßmutter in einem PKW aus der Ukraine geflohen. Sein Vater ist dort geblieben und versucht zu helfen. Bei Gin Tonic und Gegrilltem werden mir Fotos und Videos von Christina gezeigt. Von der Wohnung, in der die kleine Familie am 24. Februar einziehen wollte, endlich unabhängig von ihren Eltern und Schwiegereltern. Ich sehe Aufnahmen von Andriys Kinderzimmer, so hell und schön eingerichtet. Er hat nie in diesem süßen Kinderbett gelegen. Nie mit diesen Kuscheltiere gespielt. Wenn er in diesen Tagen die Stimme seines Vaters hört, freut er sich und lacht.

    Christina zeigt mir auch ihre Hochzeitsfotos. Sie ist eine umwerfend schöne Braut. Die Bilder könnten auch von einer Promi-Hochzeit stammen. Bunt, lebendig, ausgelassen und fröhlich, luxuriös. Ihre Mutter und Großmutter sind auch zu sehen und sie sind ebenso strahlend schön. Statt mit ihrem Mann endlich in die Wohnung zu ziehen, ist sie nun hier und kümmert sich um ihre Mutter und Großmutter. Seit sie bei uns ist, habe ich sie immer nur stark erlebt, gefasst, konzentriert. Als sie von ihrem Mann erzählt und wie schwer es eigentlich für sie ist, so ganz alleine, werden ihre Augen feucht. Und ich habe einen Kloß im Hals.

    Das Fest zum halbjährigen Geburtstag ihres Sohnes ist für Christina das erste Fest seit Ewigkeiten. Ihre Freundin aus ihrer ukrainischen Heimatstadt, die bei uns in der Nähe untergekommen ist, ist mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Sohn auch da. Zusammen mit Daria und ihrer Mutter sitzen wir an Tischen unter dem Kirschbaum, über eine Box läuft ukrainische Tanzmusik. Manchmal wird getanzt und das ist ein schönes Bild, auf dem grünen Rasen vor unserer Kirche – die Frauen in ihren schönsten Klamotten, geschminkt und fröhlich.

    Auf Englisch unterhalte ich mich mit Christinas Freundin Maria, die rechts von mir sitzt. Sie ist vielleicht Anfang 20, eine Single-Mom, die hier den Neustart wagt, naja, wagen muss. Sie wohnt bei einer Frau, die eine Etage in ihrem Haus frei gemacht hat für Geflüchtete. Maria ist dankbar und froh um die Unterkunft. Dennoch fragt sie sich, ob sie sich wirklich von ihrer Gastgeberin sagen lassen muss, wie sie ihr Leben führen soll, dass sie sich weniger schminken, billiger einkaufen (nur second hand, auch Unterwäsche!) und überhaupt ganz anders sein solle. Ich hoffe, dass diese Person es gut mit Maria meint. Was Maria erzählt, klingt anders.

    Dann übernimmt Daria die Kontrolle über die Musikbox und positioniert sich auf der Tanzfläche vor der Kirche. Die ersten Takte erklingen, das muss wohl BTS sein (habe ich kaum je gehört) und Daria beginnt zu tanzen. Ganz allein. Eine richtige Choreographie, ausholende Bewegungen. Sie singt murmelnd mit, lacht, springt. Wir klatschen und schnipsen im Rhythmus. Wann und wo hat sie sich das nur ausgedacht? Ich kann nicht fassen, dass dieses schüchterne Mädchen, das heute morgen noch so verzweifelt war, so mutig ist und jetzt für uns tanzt. Zeigt, was sie mag. Sich selbst zeigt. Ich hätte auf der Stelle in Tränen ausbrechen können. Stattdessen wende ich meinen Blick kurz von der tanzenden Daria ab, schaue über den Kirschbaum hinauf in den Himmel und atme tief ein. Dieses Fest will gefeiert werden. K-Pop im Kirchgarten, alles ist anders, mein Herz schlägt und weitet sich.

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  • Wege zu Menschen

    Diese Woche beginnt mit der ungewohnten Aussicht, dass gerade keine weitere Beisetzung anliegt. Das Frühjahr 2022 hatte es mit Sterbefällen in sich, jedenfalls für hiesige Verhältnisse. Ich weiß von Großstadt-Gemeinden, in denen pro Woche immer drei bis vier Beisetzungen stattfinden. Das ganze Jahr über. Diese Gemeinden haben auch mehrere Tausend Mitglieder. In meiner überschaubaren Welt am Stadtrand ist es schon viel, wenn über einen längeren Zeitraum pro Woche eine Trauerfeier vorzubereiten ist. Energetisch macht das trotzdem richtig Sachen bei mir. Je mehr ich mich in Lebens – und Familiengeschichten eindenke und einfühle, desto dünnhäutiger werde ich mit der Zeit. Vor allem, wenn viel Schmerz und viel Unversöhntes dabei ist. Aber auch, wenn ich die Leute gekannt und gemocht habe.

    Im April ist Frau Rehnow mit 87 Jahren verstorben. Sie und ihr Mann gehörten hier zur Kerngemeinde, kamen sonntags regelmäßig zum Gottesdienst, auch zu Gesprächskreisen und Konzerten. Frau Rehnow fiel mir gleich zu Beginn meines Dienstzeit hier auf, denn sie wirkte wie ein Filmstar aus den 20er Jahren. Ihre hellen Augen leuchteten unter schmal gezupften, hoch gebogenen Brauen. Ihr Lächeln war herzlich, aber hatte auch etwas Hintergründiges und Geheimnisvolles.

    Einmal nach einem Gottesdienst, machte sie mir ein Kompliment für meine Frisur. Normalerweise hätte ich das ulkig oder vielleicht sogar doof gefunden, nach dem Motto: Achten Sie bitte auf meine Worte und nicht auf meine Haare (davon abgesehen dass ich mich frisurenmäßig ausschließlich zwischen Zopf und Haare offen bewege)! Sie aber sagte es so charmant, dass ich mich tatsächlich freute.

    In den knapp vier Jahren, in denen ich jetzt in dieser Gemeinde bin, hatte ich schon einige Male mit Familie Rehnow zu tun. Frau Rehnow selbst habe ich über die Jahre mehrmals im Krankenhaus oder zuhause besucht (das Herz, die Beine). Sie war eine aufgeweckte und lebensfrohe Frau, die immer an Neuigkeiten aus der Gemeinde interessiert war und sehr an ihre Familie hing. Dass ihre Schwiegertochter Martina 2020 an Krebs erkrankte und mit Anfang 50 verstarb, brachte mich auch in Kontakt mit ihrem Sohn und ihren Enkelkindern.

    Das Trauergespräch fand damals in einem Schrebergarten etwas außerhalb statt. Man schrieb mir die Adresse. Ich weiß noch, wie ich von meiner Wohnung aus mit dem Rad auf holprigen Wegen durch die Kleingartenanlage geruckelt bin, immer mal wieder aufs Handy starrend, ob ich noch in die richtige Richtung fahre. Nach einer Wegkreuzung führte eine Brücke über ein kleines Fließ, hinter einer hohen Hecke fand ich schließlich, leicht verschwitzt und außer Puste, Garten, Sohn und Enkel. Ein bewegendes, schweres Trauergespräch folgte.

    Zwei Jahre später plante eine Enkelin von Frau Rehnow ihre Hochzeit. Das Traugespräch sollte ebenfalls in dem Schrebergarten stattfinden. Man schrieb mir die (schon bekannte) Adresse, ich machte mich auf den holprigen Weg, fand die Kreuzung und auch die Brücke und spähte hinter die Hecke und erreichte erfreut, erschöpft und etwas stolz das Häuschen.

    Die Enkelin von Frau Rehnow erzählte mir an jenem Sommertag, wie der Tod ihrer Mutter die Beziehung zu ihrem Partner erst erschüttert und schließlich wieder gefestigt hat. Die Trauer musste erst ihre Wege finden. Wir saßen auf der selben Couch wie beim Trauergespräch um Martina Rehnow. Draußen im Garten saß Frau Rehnows Sohn mit seiner neuen Partnerin. Eine herzliche, sonnige Person mit kurzen, roten Haaren. Bestimmt tut sie dem Sohn von Frau Rehnow gut, dachte ich und, wie das Leben so spielt.

    Vor drei Wochen fuhr ich wieder mit dem Fahrrad in diesen Schrebergarten und hatte in der Zwischenzeit nicht vergessen, wie viele Schlaglöcher und Zuckersand-Partien der Weg hat. Also fuhr ich außen herum, über die Straße, was länger dauerte. Leider hatte ich vergessen, dass das Häuschen hinter eine Hecke versteckt ist. Zweimal fuhr ich dran vorbei, dann erst fand ich den Zugang, den Sohn, seine (immer noch sonnige) Freundin und die Tochter von Frau Rehnow, auf der Veranda, im grünen und blühenden Garten. Sind Sie heute gar nicht über die Brücke gekommen? fragte mich der Sohn. Ich antwortete: Heute bin ich irgendwie anders gefahren, aber jetzt, jetzt bin ich da.

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