Die Libellen-Andacht halte ich am ersten gemeinsamen Morgen in einer kleinen, schlichten Kapelle. Unser Tagungshaus könnte auch irgendwo in Italien sein, so schön ist es hier. Sanft geschwungene Hügel, ein glitzernder See gleich um die Ecke. Die Farben in der Gegend scheinen warm und satt, wie durch einen Sepiafilter betrachtet. Ein geschlungener Weg führt leicht bergab in die Kapelle. Vor der Andacht bin ich nervös, so viel anwesende Pfarrer*innen bin ich nicht gewöhnt. Es soll schön werden. Außerdem habe ich ein (für mich) neues Lied mitgebracht, dass ich mit dem Konvent singen will. Das Lieblingslied eines mir lieben Menschen aus meiner letzten (nun abgeschlossenen) Weiterbildung. Es ist nicht ganz leicht zu lernen, das Notenbild widerspricht der praktischen Umsetzung, ein paar Pausen werden übersprungen, aber es ist so schön! Und die Melodie! Und der Text! Du stellst meine Füße auf weiten Raum, du stellst meine Füße auf weiten Raum. Schritt ins Offene, Ort zum Atmen (…). Oh wow, dieser Konvent singt und klingt einfach fantastisch zusammen. Ich bin (wie gerade ständig) tief gerührt und blicke beim Gitarrenspiel kurz hoch in die Gesichter der Menschen, mit denen ich in den letzten Jahren unterwegs war. Eine weitere Welle der Rührung kommt und nimmt mich mit. Ich atme tief ein und wieder aus. Die werden mir sehr, sehr fehlen.
Neben dem Haus, in dem uns immer das Essen serviert wird, ist eine kleine Wiese, über der nachts Glühwürmchen schweben. Jetzt, in der Mittagspause, sitze ich dort neben Jana und Peter, das Gras piekst, ab und an fliegt und summt etwas Beflügeltes um uns herum. Ich genieße es, mich unter freiem Himmel aufzuhalten. Die Hitze des Tages hat das schattige Plätzchen noch nicht erreicht. In den Seminarräumen ist es drückend und stickig, ich kann mich schlecht auf das Thema konzentrieren. Eben haben wir etwas musiziert, Peter an der Cajon, Jana am Bass, zur Vorbereitung auf den bunten Abend am Donnerstag. Mir macht das Spaß, endlich wieder singen und Gitarre spielen, Stimmen ausdenken. In den letzten drei Jahren ist das gemeinsame Musizieren auf Konventsfahrten schon Tradition geworden. Jana fragt und was mache ich dann nächstes Jahr ohne dich? und ich seufze. Peter erzählt davon, dass er auch die Stelle wechseln will, von der Gemeinde in die Schule. Eigentlich waren Peter und ich Popularmusikbeauftragte des Gesamtkonventes, aber so richtig haben wir mit der Arbeit nie angefangen. Ich bin gespannt, wo es ihn hinverschlagen wird. Die Kirchenwelt ist ja erstaunlich klein und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass man sich noch öfter begegnen wird. Das wär schön.
Ralf hat mich auf die Glühwürmchen aufmerksam gemacht. Ralf und ich hatten bisher nicht so viel miteinander zu tun, aber dieses Mal ist es anders. Wenn er abends in gemütlicher Runde seine Zigarillos raucht, sitze ich neben ihm und konsumiere auf alte Zeiten etwas Tabakluft mit. Er erzählt von seinem Dienst, der Familie, vom Loslassen und Grenzen setzen. Wir entdecken Gemeinsamkeiten. Obwohl er extrem sportlich ist und eine starken charismatischen Einschlag hat! Ich erinnere mich daran, wie fremd ich mich zu Beginn in diesem Konvent gefühlt habe. Und ich bin dankbar, dass sich das so gewandelt hat, über alle möglichen Grenzen hinweg. Holy spirit says hi.
Die Nächte sind kurz und unruhig, die Bettdecke ist zu schwer und zu warm und überhaupt sind Abschiede (Überraschung!) nicht meine Sache. Beim Abschlussgottesdienst bin ich mit beteiligt, ein Glück, das hält den Abschiedsschmerz vielleicht noch etwas im Zaum. Und wieder singen sie so schön, diese Pfarrer*innen in dieser bezaubernden kleinen Kapelle. Eigentlich finde ich Formulierungen wie „Geistliche Gemeinschaft“ und „Brüder und Schwestern und Glaubensgeschwister“ altbacken und doof. Aber das hier sind auch mehr als nur Kolleginnen und Kollegen, uns verbindet mehr. Wir feiern Abendmahl. Ich liebe den Friedensgruß, Schalom, Friede sei mit dir. Es dauert lange, bis alle sich einmal umarmt haben, wir sind eben ein großer Konvent. Nach den Fürbitten werde ich verabschiedet.
Schon als ich nach vorne gehe, fließen die ersten Tränen. Svenja, die mich in meinen Bewerbungsdingen begleitet und unterstützt hat, spricht und findet die richtigen Worte und sie sagt auch, dass ich wiederkommen kann, wenn es mir an der neuen Stelle nicht gefallen sollte. Das erleichtert mich sehr, schließlich habe ich insgesamt das Gefühl, als würde ich ein zweites Mal von zuhause ausziehen. Begleitet von dieser Gemeinschaft bin ich in den Pfarrdienst hineingewachsen, seit dem Vikariat, Schritt für Schritt. Ich gehe reich beschenkt weiter, mit dem Segen dieser wundervollen Gemeinschaft. Und mit einer schönen Abschiedsgabe: Einer handgefertigte Öllampe mit blauen Libellen drauf. ❤